#392 RFC Tilleur - UR La Louvière Centre 2:2

LÄNDERPUNKT #25  /  NEUER GROUND #143

Stade de Buraufosse, Tilleur, Belgien
400 Zuseher_innen
4. Liga 2018/19, 21. Runde
Heimteam #1 / Auswärtsteam #1

Verborgen im Nebel der Schwerindustrie, zwischen Wohnsiedlungen aus rotem Backstein und trostlosen Hügeln, hält man es kaum für möglich, sich hier nicht in einer beliebigen britischen Arbeiterkleinstadt zu befinden, sondern 35 Kilometer von Deutschland entfernt. Der strömende Regen, der während der ersten Halbzeit einsetzt, tut sein Übriges, um das Herz eines jeden, der sich der geschundenen britischen Fußballseele verbunden fühlt, höher schlagen zu lassen. Wenn aber nicht einmal der Taxifahrer mit dem Namen Stade de Buraufosse etwas anfangen kann, und das Stadion derart in seine natürliche Umgebung eingebettet ist, dass es von den umliegenden Wohnhäusern versteckt und einer stählernen Eisenbrücke überragt wird, muss man schon ganz genau wissen, wohin man muss, wenn man zum RFC Tilleur möchte.

Diesen gibt es seit 2014 unter diesem Namen. Er ist das Produkt zahlreicher Fusionen und Neugründungen der letzten 30 Jahre und hat seinen Ursprung im 1899 gegründeten Tilleur FC, der seine erfolgreichste Saison 1964/65 bestritt, als er Vierter der ersten belgischen Liga wurde. Während der Heimverein in dieser Saison erstmals seit der aktuellsten Neugründung in die Viertklassigkeit aufgestiegen ist und sich dort im oberen Mittelfeld hält, ist UR La Louvière Centre, der heutige Gegner und überlegene Tabellenführer der „Zweiten Amateurdivision“, bei nur zwei Unentschieden aus 20 Spielen noch ungeschlagen. Der Spielverlauf trägt diesen Voraussetzungen aber wenig Rechnung, denn es ist die Heimmannschaft, die nach nicht einmal 30 Minuten mit 2:0 führt. Es dauert bis fünf Minuten vor Ende der Partie, bis La Louvière doch noch der Ausgleich zum 2:2 Endstand gelingt. Davor kam es Mitte der zweiten Halbzeit zu einer mehrminütigen Spielunterbrechung, als der Schiedsrichter verletzungsbedingt aufgeben muss. Aus augenscheinlichem Pflichtbewusstsein und Hingabe für die Sache lässt er es sich trotzdem nicht nehmen, in kurzer Hose und barfuß bei gefühlten zwei Grad vor dem Kabineneingang im Matsch zu stehen und sich auch den Rest des Spiels anzuschauen.

Geschätzte 300 ZuschauerInnen verirren sich an diesem grauen Februartag in das Stade de Buraufosse, wovon mindestens die Hälfte dem Anhang der Gastmannschaft zuzuordnen ist. Etwa ein Dutzend von ihnen versucht sich mit Fahnen und Gesängen auch immer wieder im Support ihrer Mannschaft. In Anbetracht der Platzverhältnisse wäre an dem Tag weder was das Ergebnis, noch was die gezeigten Leistungen betrifft mehr als ein durchaus unterhaltsames Unentschieden herauszuholen gewesen. Ohnehin steht bei diesem Besuch aber das Stadion im Vordergrund: Eine solide überdachte Haupttribüne und eine sehenswerte Stehplatz-Gegentribüne mit Giebeldach an den Längsseiten, eine kleinere Stehtribüne und darauf das für Belgien typische Vereinsheim mit Fensterfront hinter dem einen sowie das beeindruckende Herzstück – die verwitterte, auf dem Hang errichtete Stehtribüne – hinter dem anderen Tor machen das Stadion zu einem absoluten Highlight. Letztgenannte ist mittlerweile mit Werbebanden und einer Anzeigetafel zugepflastert und leider nicht mehr begehbar. Die zahlreichen noch vorhandenen Wellenbrecher lassen jedoch vermuten, dass hier einmal locker 2.000 Menschen Platz gefunden haben müssen.

Ende der 1950er Jahre begann der Verein, auf dem nur wenige hundert Meter vom Stadion Standards entfernten Grundstück in Tilleur, einem Ortsteil des Lütticher Vororts Saint-Nicolas, den dortigen Hügel teilweise abzutragen, das Gelände zu ebnen und die Stufen in den verbliebenen Hang zu bauen. 1960 wurde das fertiggestellte Stadion erstmals bespielt und erfreute sich schnell immenser Popularität. Sonst lassen sich über dieses Juwel und seine Geschichte bedauerlicherweise nur spärlich Informationen finden. Die Magie dieses Ortes, die spürbar wird, sobald man das steinerne Eingangstor passiert und die Vorstellung, dabei ein mit 11.000 Menschen zum Bersten gefülltes Stadion zu betreten, sorgen aber jedenfalls für Gänsehautgarantie.